Malerei von Claudia Eckstein-Strehlow Plattenspieler und Zubehör - Manfred Strehlow
Malerei von Claudia Eckstein-StrehlowPlattenspieler und Zubehör - Manfred Strehlow

Der Hühnermann

von Tankred Dorst, aus dem Katalog "Die Verbeugung- Johannes Grützke 1987- Ein Fragment" , Ladengalerie Berlin

 

Das Problem liegt nähmlich darin, sagt er, daß der menschliche Körper abschüssig ist. Wo ist Platz für ein Huhn? Eins sitzt auf der rechten Schulter, eins sitzt auf der linken Schulter. Eins sitzt auf dem Kopf. -Kikeriki. Aber dann? Ich strecke den Arm aus, da können drei Hühner plaziert werden. Ich strecke den anderen Arm aus: nochmal drei Hühner! Aber dann? Ich kann ein Bein hochziehen, so daß der waagrecht gehaltene Oberschenkel eine Platzierungsfläche für ein Huhn, möglicherweise für zwei Hühner bildet. Durch das Waagrechthalten des freischwebenden Fußes kann ich ein weiteres Huhn bequem auf diesem unterbringen, so daß auch der Fuß damit einen Sinn bekommt. Das zweite Bein ist bei dieser Anordnung allerdings nur Stütze. Andere Möglichkeit: ich gehe in die Knie, soweit, daß beide Oberschenkel waagrecht sind und kann so, wenn ich die Knie etwas  auseinanderspreize, auf jedem Oberschenkel ein Huhn, möglicherweise zwei Hühner plazieren. Leider muß man bei dieser Anordnung auf die eine Fußoberfläsche verzichten. Er sagt: ist den die Fußsohle verwendbar? Ja! Wenn ich auf den Kniescheiben balanciere, dabei beide Füße hinden hochstrecke und es mir gelingt, die Fußsohlen waagrecht zu halten: Platz für zwei Hühner! Das bedeutet aber verzicht auf die zwei, beziehungsweise vier Hühner den Oberschenkeln und natürlich auch auf das Huhn auf der Fußoberfläche.- Nun kann aber auch noch, sagt er, die Kraft meiner Kiefer sinnvoll angewendet werden, und zwar in dem man einen starken Holzstab, den ich mir quer zwischen die Zähne schiebe, mit der ganzen Kraft meiner Kiefer festhalte. Je nach Länge des Stabes  ergibt sich rechts und links vom Mund eine Plazierungsmöglchkeit für je ein Huhn, beziehungsweise für zwei Hühner. Und wäre es nicht wundervoll, wenn ich einen Ring wie eine große Krone, nein, wie ein großes Rad, von dem mein Kopf die Nabe und also der Mittelpunkt wäre, an meinem Kopf befestigen könnte, und wenn darauf, je nach Größe des Rades, weitere sechs, vielleicht sogar acht Hühner Platz fänden? Welcher Triumph für die Kunst! Dafür lebe ich!

 

Katalogtext von                      Prof. Dr. Ralf Roth

Claudias Bilder

 

         Ich lernte Claudias Bilder bereits vor einigen Jahren kennen und habe seitdem ihre und ihrer Bilder Entwicklung verfolgen können. Das verblüffende an dem Zyklus »Metamorphosen« ist, daß sie sich mit der Zeit verändern. Je länger man sie betrachtet, um so mehr treten die Farbelemente hervor; vor allem aber ändern sich die Strukturen des Bildes und die Zuordnungen der Formen.

 

         Es bereitet mir immer wieder großes Vergnügen, andere Menschen mit diesen Bildern zu konfrontieren. Meistens stehen sie verblüfft davor, wissen nichts mit den scheinbar fremden Formen, die dann aber doch irgendwie vertraut erscheinen, die an irgendetwas erinnern, anzufangen. Nicht selten spiegelt sich anfangs Unglaube, häufig Ablehnung in den Gesichtern der Betrachter (Ich schaue deshalb die Betrachter, nicht die Bilder an). Gefragt, was sie sehen, folgen erstaunte Blicke, Reaktionen der Unsicherheit. Dann beginnt ein Ringen, das »Fremde-und-doch-vertraut-Erscheinende« in Worte zu kleiden, auf den Begriff zu bringen. Die Formen erinnern an etwas Bekanntes, also wird Bekanntes zugeordnet, und doch bleibt eine große Unsicherheit, da alles nicht so recht zusammenpassen will, sich das Bild gegen die einfache Interpretation, das einfache Verstehen widerborstig zeigt. Die einen verweigern sich aufgrund dessen völlig gegen »sinnstiftende« Interpretationen und beharren auf der anfänglichen Ablehnung. Andere begeben sich allerdings freizügig und ohne Hemmungen auf »Entdeckungsreisen«, scheuen sich nicht, zu »sehen«, lernen »Sehen«, sehen jeder Verschiedenes: bei ein und demselben Bild ein kopulierendes Flamingopaar, einen amerikanischen Weißkopfseeadler, einen wütenden Vogel und doch war es »nur« ein Hühnerflügel: What you see is what you get!

 

         Konfrontiert mit dem Ausgangspunkt, dem »eigentlichen Inhalt« des Bildes,- wenn es einen solchen überhaupt gibt -, folgt nicht selten ein »Ach so« und scheinen sich plötzlich die ungeordneten Strukturen in eine »unübersehbare«, nicht mehr wegzudenkende Ordnung zu fügen; es herrscht ungläubiges Erstaunen darüber, dies nicht sofort »erkannt« zu haben. Es gliedert sich das Bild, es begreift der Verstand, was das Auge schon vorher gesehen hatte. Wie auch immer, die Berichte über das Gesehene offenbaren mehr über die Betrachter als über das Bild selbst. Insofern sind Claudias Bilder Spiegel, die die Grenzen der Phantasie oder aber die Offenheit des Beschauers, ohne Scheu zu sehen, Sehen zu lernen, reflektieren.

 

         Alle Bilder, die ich aus diesem Zyklus kenne, zeigen bei alledem immer wieder, wie sehr unsere Auffassung trügt, das Auge würde reine Erkenntnis übermitteln. Der Verstand betrachtet mit und hilft nach, wenn die Farben- und Formenreize nicht so ganz ins vertraute Schema passen und schon befindet sich das Bewußtsein auf Abwegen, zeigt dem Betrachter ein ganzes Füllhorn unentdeckter Welten - in ihm! Aus Claudias Bildern läßt sich somit lernen, wie wir sehen und wieviel Freiheit in uns steckt, Unentdecktes wahrzunehmen. Sie verlangen eigentlich nur Offenheit, mit dem Auge auf die Reise zu gehen. Darin liegt für mich ihr ganz besonderer Wert. Die Bilder des Zyklus haben sich mit der Zeit verändert. Stand am Anfang die Transformation von Tier zu Mensch oder vice versa (wer will das so genau sagen!) im Vordergrund, so wurde das Thema alsbald anhand verschiedener Kunstrichtungen variiert.Vorläufiger Abschluß bildet die Befreiung der Formen und Farben von den ursprünglichen Strukturen. Es gibt also viel zu entdecken in den mittlerweile über 50 Variationen der »Metamorphosen«.

 

Ralf Roth, im Januar `94

Ausstellungs Einführung

Natura morta - ziemlich lebendig! 

 

Claudia Ecksteins Bilderzyklus umfaßt alle Aspekte des künstlerischen Arbeitsprozesses: Am Anfang steht immer das Suchen, das Offenhalten der Augen für Neues, das Erkennen von Zusammenhängen und deren Sichtbarmachung. So stieß sie auf den Ausgangspunkt dieses Bilderzyklus: zwei Hühner, zum Braten vorbereitet, neben dem Kochtopf sitzend.

 

Dann folgte die Ausarbeitung, die Weiterentwicklung, die Verfeinerung der Gestaltung: In lockerer Malweise, mit pastosem Farbauftrag, der ihre Malfreude kennzeichnet, hat Claudia Eckstein in den letzten Jahren mehr als 50 Bilder zu diesem Zyklus gemalt. Dabei hat sie immer neue Varianten entwickelt, neue Aspekte untersucht. Tatsächlich gibt es für diese Arbeitsweise Vorbilder in der Kunstgeschichte: Giorgio Morandi hatte über Jahrzehnte hinweg die Kunst seiner Stilleben vervollkommnet und aus vertrauten Gegenständen wie Salatschüsseln, Tassen, Flaschen mit langen Hälsen, eine ihm eigene Welt geschaffen. Ihm gelang dabei etwas besonderes, dem toten Objekt Leben einzuhauchen.

 

Claudia Eckstein versteht es ebenso, ihre Bilder zum Sprechen zu bringen. Die von ihr dargestellten Figuren entwickeln eine ganz eigene Lebendigkeit. Es treten Paare gemeinsam auf, Gruppen und Einzelcharaktere entwickeln sich.

 

Woher kommt das Menschliche an den Figuren, die sie darstellt? Natürlich ist da eine gewisse Verwandtschaft der Wirbeltiere untereinander, zu denen die Vögel ja ebenso wie die Menschen gehören. Etwa die Anordnung der vier Gliedmaßen, wobei die Schenkel voluminöser sind als die Arme/Flügel, und dies tritt natürlich besonders hervor, wenn die Tiere ihres tarnenden Federkleids beraubt sind. Aber die körperliche Ähnlichkeit stößt schnell an ihre Grenzen: Der Betrachter interpretiert und ergänzt, er erkennt in den Halsstümpfen, die auf den Schultern ruhen, einen Kopf, etwas zu klein geraten für den grobschlächtigen Körper, vielleicht Ausdruck eines kleinen Geistes?

 

Die Interpretationen gehen weiter: Wie stehen die Figuren in Beziehung zueinander? Drücken sie Heiterkeit, Unbeschwertheit aus? Sind sie traurig, verängstigt? Claudia Eckstein ist es gelungen, einen Mikrokosmos aufzubauen, in dem ihre »Hü(h)nen« ein eigenes Leben entwickeln.

 

Stilleben von geschlachtetem Geflügel hat die Künstlerin gemalt. Natura morta, tote Natur, wie der italienische Ausdruck für Stilleben heißt. Auf Claudia Ecksteins Bilder übertragen bedeutet dies: Tote Hühner, aber ziemlich lebendig!

 

Detlev Sieber, im Februar 1994

Katalogtext                                Uli Wirtz von Mengden

für claudia e. / spurensuche - momentaufnahme

 

malerischer kosmos, polychrom, ölfarben bis in die ecken, kommen die gebilde daher. unzweifelhaft meine ich hühner zu entdecken, menschliche hühner, hühner als menschen oder menschen als hühner, als steckte ein huhn in uns allen. vorbeiziehende gedanken, entdecke das tier in dir! aufgeplatzte rinde, der haut beraubt, bloß das fleisch, unbedeckt, sehnen, muskeln, adern, blut - organische fata morgana.

 

ein schamloser blick, ständig zwischen den schenkeln, den hühnern in die eingeweide geschaut. erotica animalis, gibt es das fried chicken?

 

wir verstehen uns richtig, du ehemaliges ei, du maßt dir an, dem homo sapiens zu gleichen. fürchte unsere vernunft, die klinge unseres verstandes, weh dir, wenn wir die messer wetzen. nimm deinen schenkel ein stück weg, verschließe dich, du riechendes, duftendes etwas. vulva, schließe dich, oder ich stecke in dich apfel mit zimt oder maronen oder büschelweise estragon. bedecke dich, paniere dich, höre auf, dem aufgeblähten mensch zu gleichen, dem vollgepumpten, drallen, träufend-triefenden, blutberstenden, sabbernden hormonzyklop vor dem begattungssprung.

 

anmutiges tier, du! schaute derjüngst in dein auge. dein heftig schwankender schaukelblick entwirrte sich der schlierigen »buntniss«. in deinen brunnen gewährst du einsicht, meliertes objekt. auge, spiegelbild der seele, wohin ging dein gewanderter weg?

 

weggeschrumpfter kopf, zerhackt, vermantscht, zerbombt - in falten gelegt die zuckende haut - eros und agonie. vertraut fremdes wesen, hundertfach durch meine darmschlingen gejagt, im festtagsgewand, weiße manschette an den gelenken, bist du mir magentrost.

 

uli wirtz- von mengden, im januar `94

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© Manfred Strehlow letzte Änderung 24.03.2024