Der Hühnermann
von Tankred Dorst, aus dem Katalog "Die Verbeugung- Johannes Grützke 1987- Ein Fragment" , Ladengalerie Berlin
Das Problem liegt nähmlich darin, sagt er, daß der menschliche Körper abschüssig ist. Wo ist Platz für ein Huhn? Eins sitzt auf der rechten Schulter, eins sitzt auf der linken Schulter. Eins sitzt auf dem Kopf. -Kikeriki. Aber dann? Ich strecke den Arm aus, da können drei Hühner plaziert werden. Ich strecke den anderen Arm aus: nochmal drei Hühner! Aber dann? Ich kann ein Bein hochziehen, so daß der waagrecht gehaltene Oberschenkel eine Platzierungsfläche für ein Huhn, möglicherweise für zwei Hühner bildet. Durch das Waagrechthalten des freischwebenden Fußes kann ich ein weiteres Huhn bequem auf diesem unterbringen, so daß auch der Fuß damit einen Sinn bekommt. Das zweite Bein ist bei dieser Anordnung allerdings nur Stütze. Andere Möglichkeit: ich gehe in die Knie, soweit, daß beide Oberschenkel waagrecht sind und kann so, wenn ich die Knie etwas auseinanderspreize, auf jedem Oberschenkel ein Huhn, möglicherweise zwei Hühner plazieren. Leider muß man bei dieser Anordnung auf die eine Fußoberfläsche verzichten. Er sagt: ist den die Fußsohle verwendbar? Ja! Wenn ich auf den Kniescheiben balanciere, dabei beide Füße hinden hochstrecke und es mir gelingt, die Fußsohlen waagrecht zu halten: Platz für zwei Hühner! Das bedeutet aber verzicht auf die zwei, beziehungsweise vier Hühner den Oberschenkeln und natürlich auch auf das Huhn auf der Fußoberfläche.- Nun kann aber auch noch, sagt er, die Kraft meiner Kiefer sinnvoll angewendet werden, und zwar in dem man einen starken Holzstab, den ich mir quer zwischen die Zähne schiebe, mit der ganzen Kraft meiner Kiefer festhalte. Je nach Länge des Stabes ergibt sich rechts und links vom Mund eine Plazierungsmöglchkeit für je ein Huhn, beziehungsweise für zwei Hühner. Und wäre es nicht wundervoll, wenn ich einen Ring wie eine große Krone, nein, wie ein großes Rad, von dem mein Kopf die Nabe und also der Mittelpunkt wäre, an meinem Kopf befestigen könnte, und wenn darauf, je nach Größe des Rades, weitere sechs, vielleicht sogar acht Hühner Platz fänden? Welcher Triumph für die Kunst! Dafür lebe ich!