Malerei von Claudia Eckstein-Strehlow Plattenspieler und Zubehör - Manfred Strehlow
Malerei von Claudia Eckstein-StrehlowPlattenspieler und Zubehör - Manfred Strehlow

Gesichtslandschaften

Katalogtext von Prof. Dr. Ralf Roth

 

Claudia beschäftigt sich so lange, wie ich sie kenne, mit den Metamorphosen des Lebens und mit den Wandlungen, die die menschliche Imagination aus den lebenden und weniger lebendigen Dingen um uns herum macht. Ein Huhn auf der Anrichte, vorbereitet zum Mahl, aber merkwürdig vertraut sitzend – allerdings kopflos – wurde zum déjà vu eines sicher 100 Bilder umfassenden Zyklus, in dem die Metamorphosen vom Huhn zum Mensch nach allen Richtungen hin ausgelotet und durch dekliniert wurden. Claudia schenkte uns damit überraschende Einblicke über die engen Bindungen der Formen und wie dicht wir doch am Huhn sind. Kinder kennen zuweilen noch diese Nähe – jedenfalls dann, wenn sie die (selten gewordene) Gelegenheit haben, ein lebendiges Huhn zu Gesicht zu bekommen und es herumtragen können: Unmöglich dieses dann aufzuessen. Dieses Huhn hat dann auch einen Kopf und behält ihn auch.

 

Claudia hat sich lange Zeit gelassen, Köpfe in ihr künstlerisches Werk aufzunehmen. Sie ging erst einmal weit weg von der Fauna hin zur Flora, betrachtete lange Zeit knorrige Bäume und Baumstücke und ging dann weit zurück in der Kunstgeschichte der Menschheit. Sie entdeckte die Mütterdarstellungen der Steinzeit für sich, also die merkwürdig bekopften und doch kopflosen Skulpturen wie die Venus von Willendorf.

 

Immerhin, die sexuell mit allen Attributen ausgestalteten Wesen hatten etwas auf dem Torso: rund, abstrakt, ohne Augen, Mund, Nase und Ohren, aber immerhin einen Kopf. Claudia machte sich auf die Suche nach SPUREN. Surreale Oberflächen und schemenhafte Formen und Gestalten.

 

Aus dem Zyklus „Spuren“ gelang der Sprung zu den „Köpfen“. „Mit den Köpfen habe ich angefangen, als ich noch mit dem Zyklus Spuren beschäftigt war“, schrieb sie damals in ihrem Katalog. Es waren Köpfe ihrer ART. Nicht einfach so, sondern in Zeitschriften blätternd, rasch zur Seite hin skizzierte Umrisse, die dann meisterlich auf der Staffelei in ein Ölgemälde komponiert wurden.

 

Aber eigentlich blieb sie bei alledem bei ihrem Lebensthema – den Metamorphosen, bei den Wandlungen und Übergängen, dem auseinander Hervorgehendem, den Übergängen in immer neuer Gestalt. Man kann auch sagen, bei dem Vergehen, dem Eingraben der Spuren, sei es in der Gestalt und den Oberflächen der Bäume, sei es dem Altern eines Menschen.

 

Ob Huhn, Baum, Steinzeitidol, Spuren oder Köpfe, die Metamorphose führte Claudia zwingend zu ihrem neuen Zyklus – den Gesichtslandschaften, also dem Teil des Kopfes, den wir sehen, wenn wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, wenn wir in den Spiegel schauen oder in eine Pfütze. Nach Heraklit steigen wir niemals wieder in denselben Fluss. Genauso schauen wir niemals wieder in dasselbe Gesicht – auch wenn die Person die GLEICHE geblieben ist. Sie gleicht sich eben nur. Die nach Jahren aneinandergelegten Fotos – Momentaufnahmen mit bestimmter Zeit und bestimmtem Ort – belegen es.

 

Manche Veränderungen sind den jeweiligen Stimmungen geschuldet. Wenn wir freudig strahlen, ernst und gefasst blicken, traurig sind oder weinen, wenn wir dem Wein zugesprochen, gellend lachen oder wütend und zornig die Augen blitzen lassen, verändert sich die Landschaft des Gesichts: die geweiteten oder zum Schlitz verengten Augen, der weit offene oder schmallippige Mund, die Nase gerümpft oder mit geblähten Flügeln.

 

Aber es gibt neben diesen momentanen Veränderungen einen viel tieferen und stetig verlaufenden Wandel: die Metamorphose – die Spuren des Lebens und seiner Zeit, die sich tief in unsere Gesichtszüge ihren Höhen, Flächen und Mulden eingraben. Claudia ist mit dem Zeichnen und Malen dieser Spuren aufs Beste vertraut. Sie hat sie in vielen Bildern am Huhn, am Holz, an der Steinfigur, an raschen Skizzen und an Köpfen oft studiert. Es ist deshalb in gewisser Hinsicht ihr Lebenswerk, das sich hier dicht auf den Tafeln mit den Gesichtslandschaften zusammendrängt.

 

Tief graben sich die Linien wie Täler in die einmal am Beginn des Lebens glatten und planen Züge ein. Die Ebenmäßigkeit verrutscht, Dünen wandern unter den Augen abwärts. Die Stirn durchzieht und den Mund umgibt ein ganzes Grabensystem: verwittertes Gestein – Gesichte(r) mit einer langen, langen Geschichte.

 

Was strahlen sie aus? Jeder Betrachter mag die große Metamorphose unser aller Leben anders sehen. Ich sehe Ruhe und Gelassenheit, Gefasstheit. Ich vermute Erfahrung, Wissen – vielleicht Weisheit und damit verborgene ungehobene Schätze hinter den in die Ferne blickenden grünen und blaugrauen Augen. Zuweilen verrät der leicht schmunzelnde Mund, dass sich dieses Gesicht über die noch unbeschriebenen Blätter naseweiser Betrachter mit ihrer vielleicht noch spurenlosen jugendlich-naiven Glattheit lustig macht – oder ist es die Malerin?

 

Prof. Dr. Ralf Roth

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© Manfred Strehlow letzte Änderung 29.11.2024